Wie stellt man eine umweltmedizinische Erkrankung fest ?
Die Diagnosestellung umweltmedizinische Erkrankungen erfolgt auf der Basis einer ausführlichen Befragung (Anamnese), welche beim Erstkontakt im Regelfall circa 1 Stunde in Anspruch nimmt. Ergänzend zum Gespräch setzen wir spezielle umweltmedizinische Fragebögen (EUROPAEM_Anamnesebogen) ein. Die Anamnese bezieht das komplette berufliche und private Lebensumfeld, die familiäre Veranlagung wie auch die Konsum- und Ernährungsgewohnheiten der Patienten unter umweltmedizinischen Gesichtspunkten mit ein.
Was folgt ist die gezielte Diagnostik
Es werden im Rahmen der Diagnostik alle gängigen Untersuchungstechniken angewandt. Neben weiteren modernen labordiagnostischen toxikologischen, immunologischen, endokrinologischen und stoffwechselphysiologischen Untersuchungsmethoden kommen unter anderem genetische Analysen, Mobilisationstestungen sowie ernährungsphysiologische und falls erforderlich baubiologische Untersuchungen (durch externen Baubiologen) hinzu.
Die in der klinischen Umweltmedizin angewendete Laboranalytik beinhaltet Umweltmonitoring, Biomonitoring, Effektmonitoring, Dispositionsdiagnostik sowie weitere spezielle Testverfahren.
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Umwelt- und Ambientemonitoring
Im Rahmen des Umweltmonitorings werden die äußeren, krankmachenden Belastungen aus beruflichem, privatem und Freizeitbereich untersucht. Hierzu zählen Belastungen mit Chemikalien (wie Herbiziden, Holzschutzmitteln, Lösungsmitteln, Pestiziden), Schimmelpilzen und deren Toxinen, Schwermetallen, Zahnwerkstoffen, Tonerstäuben u.a., aber auch physikalische Belastungen (Strahlungen, elektromagnetische Felder, Lärm, Klima etc.) und psychosoziale Faktoren.
Unter Ambientemonitoring versteht man die unmittelbare Untersuchung des Wohnbereiches bzw. Arbeitsplatzbereiches auf Umweltschadstoffe. Diese wird meistens mittels apparativer Technik von einem Baubiologen durchgeführt.
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Biomonitoring
Mit Biomonitoring ist die Messung von Schadstoffen bzw. ihren Stoffwechselprodukten im Organismus gemeint. Im Human-Biomonitoring untersucht man z.B. Gewebeproben, Blut, Urin, Speichel, Stuhl, Haare und Zähne etc.
Ein solcher Messwert muss immer im Zusammenhang mit dem ermittelten Beschwerdebild gesehen werden. Aufgrund genetischer Gründe kann dies zu unterschiedlichen Krankheitsverläufen führen. Hier spielt die individuelle Empfindlichkeit (sog. Suszeptibilität) eine entscheidende Rolle.
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Effektmonitoring
Im Rahmen des Effektmonitorings werden biochemische Veränderungen als Hinweise auf die Wirkung eines Umweltfaktors im Organismus erfasst. Sind diese nachweisbar, können sie die Krankheitursache umweltbedingter Gesundheitsstörungen objektivieren. Als Marker biochemischer Effekte (Effektmarker) dienen u.a. Enzyme, Metaboliten (Stoffwechselprodukte), Proteine sowie DNA-Addukte.
Auch spezielle Tests auf Sensibilisierungen (z.B. Basophilendegranulationstest = BDT bei Sofort-, sowie Lymphozytentransformationstests = LTT bei verzögerten Reaktionen) gehören zum Untersuchungsspektrum.
Heute können auch zahlreiche Biomarker die Belastung mit Umweltschadstoffen anzeigen, was ebenfalls ein Effektmonitoring darstellt. Solche Marker sind u.a. veränderte Moleküle im Rahmen von oxidativem bzw. nitrosativem Stress (z.B. Nitrotyrosin). Auch Parameter des Immunsystems (z.B. TNF-a, IL-6 oder Interferon-gamma-induziertes Protein 10) gelten heute als Effektmarker für erhöhte Umweltbelastungen bzw. als Ausdruck einer individuell gesteigerten Entzündungsantwort auf die verschiedenen Umweltfaktoren.
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Genetische Veranlagung
Aufgrund genetischer Disposition kann die Entgiftungsmöglichkeit derart eingeschränkt sein, dass gewisse Umweltstoffe (Toxine, Schwermetalle, Medikamente, etc.) nicht adäquat oder kaum abgebaut werden können.
Untersuchungen dieser genetischen Polymorphismen über Speziallabore können solche Störungen im Phase-I- und -II-Entgiftungsstoffwechsel (CYP´s, NAT2, GST´s) bzw. auch neuroendokrine Funktionsstörungen (COMT, MAOA, MTHFR) erfassen und somit gezielte Unterstützung in der individuellen Therapieplanung und auch zukünftig zu erwartender Toxinbelastung bzw. -elimination bieten.
Therapieansätze umweltmedizinischer Erkrankungen
Nach Auswertung aller Befunde erfolgt schließlich mit dem Patienten zusammen die ausführliche Planung und Umsetzung der therapeutischen Maßnahmen. An vorrangiger Stelle steht die Expositionsvermeidung und -eliminierung sowie Minderung der vier wichtigsten Stressoren (physikalisch, chemisch, biologisch und psychisch-sozial).
Anschließend folgt die Sanierung des Wohn- und Arbeitsumfelds, die individuelle Beseitigung von Mangelzuständen der Mikronährstoffe, die Stoffwechseloptimierung wie auch Ernährungsberatung und aktive Entgiftungstherapien. Auch Belastungen durch Fremdmaterialien (z.B. Zahnersatz / Endoprothesen / Piercings) und mögliche Folgereaktionen des Immunsystems und Wirkung der Toxine (z.B. durch Quecksilber im Amalgam) werden berücksichtigt.
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Beispiele typischer umweltmedizinischer Erkrankungen
Typische umweltassoziierte Erkrankungen werden auch als Multisystemerkrankungen (MSE) angesehen, da sie vielfältig verschiedene Organsysteme betreffen. Hierunter fallen insbesondere:
- Chronic fatigue Syndrom (CFS/ME) – auch als chronisches Erschöpfungssyndrom bezeichnet
- Fibromyalgiesyndrom (FMS)
- Multiple chemical sensitivity (MCS) – auch bekannt als vielfache Chemikalienunverträglichkeit
- Auch gibt es hinreichende wissenschaftliche Erkenntnisse bzgl. des Zusammenhangs von Umweltbelastungen und neurodegenerativen Erkrankungen (wie z.B. Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Morbus Alzheimer, ALS), Stoffwechselerkrankungen (wie z.B. Cholesterinerhöhung, Diabetes mellitus, arterielle Verschlusskrankheit und KHK) sowie Autoimmunerkrankungen etc.